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Vermieten an Armutsbetroffene

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  Mi, 14.02.2024

Fair vermieten heisst auch, günstigen Wohnraum an jene zu vermieten, die ihn besonders nötig haben. Doch Vermieter*innen brauchen vor allem die Sicherheit, dass Miete und Nebenkosten pünktlich bezahlt werden.  Ein Dilemma.

Vermieter*innen sind verantwortlich, die wirtschaftliche Situation der Mietinteressent*innen vor Mietbeginn zu überprüfen. Sie tun dies vor Abschluss des Vertrags, in der Regel aufgrund eines aktuellen  Beitreibungsregisterauszugs oder von persönlichen Abgaben. Karin Weissenberger, Leiterin des Casafair-Beratungsteams, sagt: «Es müssen im Vorfeld des Vertragsabschlusses unbedingt die nötigen Informationen eingeholt werden, also Nachfragen beim Arbeitgeber oder bei vorheriger Vermieterschaft, sofern diese als Referenzen angegeben wurden.»

Ja, zahlen die dann?

Genau das hat Casafair-Mitglied Nicolas getan. Er vermietet ein Altstadthaus mit Garten an eine Familie, die von der Sozialhilfe unterstützt wird. Nicolas hat sich auf einen Aufruf im casanostra hin gemeldet und  vermietet an Menschen, die von Armut betroffen sind. Er erscheint auf seinen Wunsch hin nicht mit seinem richtigen Namen, weil er die Persönlichkeitsrechte seiner Mieterschaft schützen will. Beide Elternteile haben  eine Sehbehinderung, weshalb vor Mietbeginn umfangreiche Ausbauten nötig waren. Diese wurden von einer gemeinnützigen Stiftung finanziert. Zum allseitigen Gewinn. «Die Liegenschaft ist kein 08/15-Objekt», wie  Nicolas im Gespräch mit casanostra sagt. «Ich musste eine Mieterschaft finden, die zu dem Haus passt.» Die Mietinteressenten, welche beim Auswahlverfahren vorne lagen, gaben an, von Unterstützungsleistungen zu  leben. «Ich habe natürlich am Anfang auch Bedenken gehabt: ja, zahlen die dann?» Die Faustregel sagt: höchstens ein Drittel des Einkommens fürs Wohnen. Der Mietzins für das Haus mit 130 m2 Wohnfläche beläuft  sich auf rund 1900 Franken. «Sie seien damit natürlich weit darüber », haben die zukünftigen Mieter*innen gesagt. «Da haben bei mir bisschen die Alarmglocken geschrillt. Ich habe dann ein längeres Telefon gemacht  mit der SVA des Kantons. Diese haben mir gesagt: Eigentlich müssen Sie um Ihre Miete keine Angst haben.» Nicolas verliess sich auf diese Auskunft der Fachstelle und schloss den Mietvertrag ab. «Ich habe mich zu Recht darauf eingelassen. Bis heute ist die Miete immer pünktlich bezahlt worden».

Kautionsversicherungen: Geschäft mit der Not

Ein Knackpunkt für viele Mietverhältnisse ist die Mietkaution. Karin Weissenberger meint dazu: «Es ist klar, dass gerade armutsbetroffene Menschen die drei Monatsmieten nicht aufbringen können. Hier muss man  Lösungen mit einer zeitlichen Staffelung für die Zahlung der Sicherheit finden.» Diese Notlage ist auch Basis für ein fragwürdiges Geschäftsmodell. Mietkautionsversicherungen werben mit Mietkaution ohne Bankdepot.  Die Jahresprämie beträgt einen Bruchteil der Kautionssumme, wird aber am Ende des Mietverhältnisses nicht zurückerstattet. Mieter*innen mit knappem Budget zahlen am Ende drauf. Mehrere Vermieter* innen haben  mit solchen Versicherungen auch schon schlechte Erfahrungen gemacht, wie Casafair-Berater Michel Wyss berichtet. Im Schadensfall, wenn Instandsetzungen nötig waren, bezahlten Kautionsversicherungen nicht oder nicht ohne Weiteres. Auch Vermieter Nicolas hatte von einem früheren Mietvertrag her schon mit einer Kautionsversicherung zu tun, welche eine Instandsetzung nicht bezahlen wollte. «Ein Cabaret. Das ist dann zu guter Letzt noch einigermassen okay herausgekommen. Doch seitdem ist mir ein Mietkautionskonto lieber.» Bei ihm bauen die Mieter*innen die Kaution in Raten auf. Wer im Raum Basel eine Wohnung sucht, kann sich für die  Verbürgung der Mietkaution auch an die Stiftung Edith Maryon wenden. Sabine Dettwiler leitet hier die Abteilung Mietkautionen. «Wir stellen Mietkautionsbürgschaften mit Solidarhaftung für alle aus: für  Wohlverdienende, für Working Poor, Sozialhilfe-Empfänger*innen, IV-EL-Empfänger* innen und AHV-Bezüger*innen.» Gemäss Dettwiler ist die Nachfrage gross. «Der Antrag wird vom Mieter gestellt.Häufig machen Vermieter*innen die Mieterschaft auf diese Möglichkeit aufmerksam. Bei einer Bürgschaft über unseren Solidaritätsfonds wird der Vermieterschaft die nötige Sicherheit geboten, ohne das knappe Budget der  Antragstellenden noch mehr zu belasten.» Der Fonds speist sich aus einem einmaligen Beitrag und einer Einlage von 15 Prozent der Kautionssumme, bezahlbar durch die Mieter*innen. Die Vermieter* in erhält als  Sicherheit eine schriftliche Bürgschaftsverpflichtung. In der Stadt Zürich gibt es beim Sozialdepartement ebenfalls einen Fonds, den man genau für diese Themen ansprechen kann. Ausserhalb der Städte sind solche  Angebote nicht leicht zu finden, was sich ändern könnte: Eine Stiftung für Mietbürgschaften, die im Raum Zürich tätig sein wird, ist in Planung, weiss Nadine Felix von der Stiftung Domicil Wohnen (Siehe Interview).

Das Mietrecht anwenden

Vermietende sollen in erster Linie das Mietrecht kennen und anwenden. Dazu gehört auch, ausstehende Mietzinsen anzumahnen und Kündigungen auszusprechen. «Die Vermieterschaft muss formell korrekt reagieren.  Dies heisst nicht nur, allenfalls das Gespräch zu suchen. Sondern auch eine Mahnung verbunden mit einer Kündigungsandrohung zu versenden und in einem zweiten Schritt die Kündigung auszusprechen. So ungern  man dies macht, es geht auch um den eigenen finanziellen Schutz. Oft kann man aber im Gespräch gemeinsam eine Lösung finden, insbesondere, wenn die finanzielle Schwierigkeit nur vorübergehend ist», sagt Karin  Weissenberger. Mieter*innen in Geldnot haben ihrerseits Möglichkeiten, welche Vermieterschaften nicht haben. So können diese prüfen, ob ein Anspruch auf soziale Unterstützung besteht. Bei kurzfristigen Engpässen  hilft ein Antrag an Institutionen wie die Winterhilfe oder Caritas. Diese bezahlen unkompliziert auch einzelne Monatsmieten oder eine Nebenkostenabrechnung. Das Ziel ist, günstigen Wohnraum zu erhalten, denn ein  Umzug bedeutet Mehrkosten. Wichtig ist, Grenzen zu respektieren, sowohl die der Vermieter- als auch der Mieterschaft. Vermieter*innen sollen nicht das Sozialsystem ersetzen. Doch wie sie sich verhalten, ist für  Mieterschaften in Geldnot entscheidend. «Vermieter*innen können Zeit schenken, mit längeren Fristen beim Bezahlen der Nebenkosten oder dem Aufbauen der Mietkaution», sagt Casafair-Fachberater Michel Wyss.Und  sie können Hilfe leisten bei Anträgen an gemeinnützige Stiftungen, wie es Vermieter Nicolas getan hat. Gemeinnützige Institutionen, welche Mietparteien solidarisch unterstützen, geben die nötige Sicherheit.  Dies brauchen Vermieter*innen, um günstigen Wohnraum an diejenigen zu vermieten, die ihn am dringendsten brauchen.

Der Autor

Nadim Chammas
Redaktor «casanostra»

Aus «casanostra» 174

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